Billiges Kuscheln oder doch Lebenskultur

Die renommierte Familientherapeutin Virginia Satire geht davon aus, dass man 4 Umarmungen am Tag zum Überleben braucht. 8 Umarmungen damit sich nichts ändert und 12 Umarmungen am Tag um mental zu wachsen. Aber Umarmungen sind nicht einfach. Nicht die BussiBussibegrüssung. Ich denke an zwei Menschen, die sich im Arm halten, Körper an Körper so eng dass man den anderen spürt, bis Wärme die beiden umschliesst.

Ich selbst bin ein Freund von Umarmungen und ich erkenne oft im Blick von Menschen wie sehr sie das manchmal zu verstören scheint. Diese unerwartete Form von Intimität, die man in diesen Breiten oft nicht gewohnt ist. Im Süden ist das schon anders… aber ebenda und hier nicht. In meiner Kindheit wurde ständig umarmt. Da kennt man es gar nicht anders. Vielleicht der Grund, warum ich es heute immer noch tue. Ich kann mich noch gut an die warmen Umarmungen meiner Grossmutter erinnern. Sie empfang mich immer mit offenen Armen und ihre Umarmung versprühte eine Geborgenheit die ihresgleichen suchte.

Als mein Sohn irgendwann in der Unterstufe began, sich mit Klassenkolleginnen und Kollegen mit einer angedeuteten Umarmung zu begrüssen, entdeckte ich eine neue Form von Umarmungen, die ich noch nicht kannte. Offensichtlich zu früh um sich jeden Tag mit BusssiBussi zu begrüssen, hatten Jugendliche trotz den Unsicherheiten, die ein Pubertäres Leben mit sich bringt, eine Form gewählt, Nähe und Zuneigung zu zeigen. Ich kannte das bisher nur unter Mädchen. Das sich jetzt Buben und Mädchen mit zwölf oder drei zehn Jahren so begrüssten war mir neu.

Und die Erwachsenen? Vor allem Männer scheinen sich hier schwer zu tun. Aus Angst die männliche Identität zu verlieren suchen sie oft nach Ausweichmanövern und Rückzugsmöglichkeiten.

Umarmungen, nur Glück oder doch mehr?

Wenn man beginnt darüber nachzudenken, ja klar; Es ist nicht ganz einfach die „richtige“ Umarmungen hinzubekommen. Zu lange und man könnte sie erotisch interpretieren, zu fest als umklammernd, zu rasch gelöst wirkt sie flüchtig. Stimmt. Zuviel nachgedacht. Im Endeffekt ist das eine reine Gefühlssache. Eine Art gegenseitiger Balance. Das Miteinander entscheidet über Länge und Intensität.

Dabei sind die guten Gründe einander Umarmungen zu schenken mannigfaltig: Wenn wir uns umarmen, schüttet der Körper das Hormon Oxytocin aus. Das sorgt für ein wohliges Gefühl im Bauch; es sorgt aber auch für Gefühle wie Hingabe Vertrauen und  Bindung. Er ist sozusagen der biologische Baustein für unsere Verbindungen zu anderen Menschen. Hier geht es aber nicht nur um Glücksgefühle. Umarmungen senken den Blutdruck und fördern somit auch die Gesundheit. Studien belegen sogar, dass Umarmungen und Berührungen Stress senken und existenzielle Ängste mindern können. Und. Das wichtigste. si sind gut fürs Herz. Menschen die sich regelmässig umarmen haben wesentlich niedrigere Herzfrequenzen.
Es ist also tatsächlich mehr als nur billiges Kuscheln! In manchen Gesellschaften, aber auch unter vielen Menschen ist sie Kultur. Eine, die es wert ist gepflegt zu werden.

In meiner Kindheit hat eine „Angalitsa“, wie die Umarmungen auf Griechisch heissen, immer geholfen. Und wenn wir gerade nicht traurig waren, haben wir sie mit Freude einfach auf Depot genommen. Heute denke ich Virginia Satire hat auf jeden Fall recht. Und auch wenn es uns manchmal etwas an Überwindung kostet, auszahlen tut es sich immer! Und vielleichtgelingt es uns damit unsere Welt, die, die wir persönlich und selbst beeinflussen können, damit ein bisschen besser zu machen…